Das Schmieden von Utopien erweist sich bei kultur- (politischen) Zusammenkünften häufig als Motor für gesellschaftliche Prozesse, so auch auf dem „2. Forum für Theater, Digitalisierung und Nachhaltigkeit“, das am 2. und 3. Februar 2024 am Stadttheater Gießen und am 9. und 10. Februar 2024 an den Münchner Kammerspielen stattfand. Kuratiert wurden beide Veranstaltungen von dem Leiter der Stabstelle Digitalisierung der Münchner Kammerspiele Maik Romberg und mir, dem Leiter Digitaler Prozesse am Theater Gießen. Dies hat mich inspiriert, hier mit einer eigenen Utopie für das Theater der Zukunft zu starten: Das Theater der Zukunft ist ein Ort der Kollaboration(en) und der Partizipation. Ein Ort der Begegnung auf Augenhöhe. Eine kollektiv entworfene und in allen Belangen nachhaltige, dem Gemeinwohl verpflichtete Organisation. Im Theater entsteht eine »fluide« Form des kreativen Miteinander, die sich der nahezu instantanen Technologien des World Wide Web proaktiv bedient und diese immer wieder geschickt unterläuft und hinterfragt. Es ist ein 24 Stunden geöffneter Ort, real und virtuell. Die Besucher*innen des Theaters der Zukunft sind gleichzeitig Gestalter*innen desselben. Das Zukunftstheater ist sicher kein Ort des Verzichts und Verlusts, da ein wirklich nachhaltiger und nicht mehr dem neoliberalen Paradigma verpflichteter Kulturort vielmehr einen beträchtlichen Gewinn an Lebensqualität mit sich bringen wird und dem existentiell notwendigen radikalen Umdenken hin zu einer Gesellschaft jenseits des zerstörerischen Wachstumsstrebens den dringend notwendigen Schub verleiht. Es geht darum, Wege zu einer neuen Aufklärung zu finden. Die Kunst der Zukunft ist demütig und humorvoll, kritisch und abstrakt und somit vielgestaltig. Sie ist emotional und fordert ein gänzlich neues, anderes Verhältnis von Menschen zu Mitwelt. Um dieses Theater zu ermöglichen, müssen sämtliche Türen und Fenster weit geöffnet werden, real und im übertragenen Sinne. Der Veränderungsbedarf in den Institutionen ist so groß, dass die einseitige Setzung von Prioritäten nicht zielführend ist. Wir müssen unsere Bubble(s) verlassen und mit offenen Augen und Ohren die großartigen Möglichkeiten erkennen, die in der Tat bereits vorhanden irgendwo im Schatten des falschen Lebens darauf warten, genutzt zu werden. Im Angesicht der drohenden Klimakatastrophe ist eine globale Perspektive jenseits tradierter Vorstellungen und Erwartungen gefordert.
EIN BLICK IN DIE WELT
Perspektiven aus dem globalen Süden können uns helfen, andere und gegebenenfalls sogar utopische Narrative zu entwickeln. Indigene australische Traumerzählungen sind ein zentraler Bestandteil der Kultur und des spirituellen Lebens der Ureinwohner Australiens, die »Dreamtime«-Geschichten vermitteln wichtige kulturelle, moralische und soziale Lehren. Solche Geschichten können dazu dienen, Verhaltensweisen zu thematisieren, die als schädlich für die Gemeinschaft angesehen werden, und betonen oft die Bedeutung von Kooperation, Respekt und dem Gleichgewicht mit der natürlichen Welt.
Eine wesentliche Wahrheit, die sich in vielen indigenen Erzählungen und philosophischen Lehren weltweit widerspiegelt, beschreibt die Idee, dass wir eine symbiotische Einheit mit unserer Mitwelt bilden. Dies ist ein zentraler Gedanke, der uns lehren sollte, respektvoll und nachhaltig mit unserer Mitwelt und ausnahmslos allen darin lebenden Wesen umzugehen. Indem wir den Fokus von einem »Ich bin besser als Du« Modus, wie Tyson Yunkaporta es in seinem Buch »Sand Talk« nennt, zu einem kooperativen und integrativen Ansatz verschieben, können wir Wege finden, die aktuellen ökologischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen effektiv anzugehen. Diese Transformation erfordert ein Umdenken in vielen Bereichen unseres Lebens und Arbeitens. Ein sehr interessantes, institutionelles Beispiel für praktizierte Kollaborationen auf Augenhöhe und ein respektvolles Miteinander ist das »Kulturforum Witten«.